Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ – der Eröffnungsvers aus Heinrich Heines Gedicht „Nachtgedanken“ ist ein geflügeltes Wort. Angesichts von Pressemitteilungen wie der des Digitalverbands Bitkom „Tschüss Fax: Unternehmen digitalisieren ihre Kommunikation“ erscheint dieser 1843 verfasste Vers heute, im Juli 2021, nichts an Aktualität eingebüßt zu haben.
Denn in der Pressemitteilung heißt es: „Im Büroalltag verliert das Faxgerät stetig an Bedeutung. Unternehmen setzen vermehrt auf digitale Lösungen zur Kommunikation und Interaktion im Geschäftsalltag. So hat sich der Anteil der Unternehmen, die das Fax häufig oder sehr häufig nutzen, seit 2016 fast halbiert: Vor fünf Jahren gaben acht von zehn Unternehmen (79 Prozent) an, häufig via Fax nach innen und außen zu kommunizieren. Heute sind es noch ca. vier von zehn (43 Prozent).“ Die Formulierung klingt banal, fast nach Aufbruchstimmung, obwohl angesichts dieser Entwicklung von einem Aufbruch keine Rede sein kann. Denn 43 Prozent sind fast die Hälfte der befragten Unternehmen. Ein über ein Faxgerät versendetes oder empfangenes Dokument ist nicht digital und hat nichts mit digitalen Prozessen zu tun, die helfen, mit weniger Aufwand schneller und besser zu arbeiten. Selbst ein über einen Cloud-Service digital versendetes Fax kann erhebliche Lücken aufweisen, wie der Bremer Datenschutzbeauftragte kürzlich mitgeteilt hat.
Faxe garantieren keine Vertraulichkeit
Kern des Problems sei die Gegenseite: „Absender können sich nie sicher sein, welche Technik auf der Empfangsseite eingesetzt wird.“ Der Sender könne nicht feststellen, wie die in E-Mails umgewandelten Faxe verschlüsselt seien. Auch könne er eine Verschlüsselung nicht erzwingen, ebenso wenig wie er ermitteln könne, ob es sich bei den genutzten Cloud-Diensten um DSGVO-konform betriebene europäische Clouds handele. Daher kommt der Bremer Datenschutzbeauftragte zu dem Schluss: „Aufgrund dieser Unwägbarkeiten hat ein Fax hinsichtlich des Schutzziels Vertraulichkeit das gleiche Sicherheitsniveau wie eine unverschlüsselte E-Mail, die zu Recht als digitales Pendant zur offen einsehbaren Postkarte angesehen wird. Mehr nicht. Fax-Dienste enthalten in der Regel keinerlei Sicherungsmaßnahmen, um die Vertraulichkeit der Daten zu gewährleisten. Sie sind daher in der Regel nicht für die Übertragung personenbezogener Daten geeignet.“ Zur Übertragung besonderer Kategorien personenbezogener Daten gemäß Artikel 9, Absatz 1 der Datenschutzgrundverordnung sei die Nutzung von Fax-Diensten unzulässig.
Dennoch heißt es in der Mitteilung: „Die Bremische Verwaltung geht davon aus, bis Ende 2022 alle Faxgeräte durch sicherere Technologien abgelöst zu haben.“ Das ist Ende des nächsten Jahres! Eineinhalb Jahre Zeit also, um Prozesse zu etablieren, damit Mitarbeiter Dokumente per Ende-zu-Ende verschlüsselter E-Mail versenden! Daran ist nicht einmal eine Spur von digitalem Denken zu erkennen. Gleichwohl passt das ins Bild der Bundesrepublik Deutschland. Davon zeugt auch die Katastrophe, dass im vergangenen Jahr, mitten in der Pandemie, zahlreiche Labore die Corona-Testergebnisse per Fax an die Gesundheitsämter gemeldet und diese Daten ans RKI übermittelt hatten.
Mahnen statt Beschönigen
Besser ist auch nicht, dass der Bitkom als Digitalverband von einer insgesamt stärker werdenden Digitalisierung der Büro- und Verwaltungsprozesse schreibt, obwohl 2021 noch in 23 Prozent der Unternehmen die meisten Geschäftsprozesse papierbasiert ablaufen, während es 2016 in 34 Prozent der Unternehmen der Fall war. Denn stärker ist der Komparativ von stark. Das bedeutet: Damit es etwas stärker werden kann, muss es erst einmal stark gewesen sein. Und so lässt sich die Situation nicht bezeichnen, wenn mehr als ein Drittel der Unternehmen Informationen auf toten Bäumen festgehalten hat. Auch die Veränderungsgeschwindigkeit ist in Zeiten der Beschleunigung nur marginal. Dass in 13 Prozent der großen Unternehmen ab 500 Mitarbeitern die Prozesse vollständig digitalisiert sind und in zwölf Prozent der Unternehmen zwischen 100 und 499 Mitarbeitern, lässt nur wenig hoffen. Denn in Firmen mit 20 bis 99 Mitarbeitern seien es nur sechs Prozent. Diese sowie noch kleinere Unternehmen stellen jedoch den bei Weitem größten Anteil der Unternehmen in Deutschland.
Wenn diese Firmen in der Bundesrepublik, also die meisten, künftig nicht völlig ins Hintertreffen geraten wollen, hilft es nichts, die Situation zu beschönigen. Am Schneckentempo ist nichts toll. Vielmehr ist es beängstigend, zumal schon die Mitte der 1970er-Jahre Geborenen, die Nachfolger der derzeitigen Verantwortlichen, kein Faxgerät mehr bedienen können und wollen. Sie ziehen es vor, sich im Internet mit Memes über Faxe lustig zu machen. Das muss gesagt werden, in aller Deutlichkeit. Denn den sich in vermeintlicher Sicherheit wiegenden verantwortlichen Führungskräften, die in Deutschland ein Durchschnittsalter von knapp 52 Jahren aufweisen, muss schnellstens bewusst werden, dass sie jetzt mit ihren Entscheidungen für oder gegen eine konsequente Digitalisierung die Weichen dafür stellen, ob sich ihr Unternehmen schon bald zu den Dinosauriern gesellt oder auch in Zukunft besteht.